Verkürzter Versorgungsweg: Hörgeräte direkt vom HNO-Arzt?

Ersatzkassen stimmen jetzt auch verkürzten Versorgungsweg zu

verkürzter Versorgungsweg

Erst 2013 erhöhte der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung den Zuschuss für Hörgeräte auf maximal 784,95 EUR. Innerhalb dieser Vorgabe handelten die Krankenkassen eigene Rahmenverträge zur Abrechnung mit den Leistungserbringern, den Hörgeräteakustikern, neu aus.

Der krankenkassenspezifische Festbetrag wurde dabei so festgelegt, dass eine für den Hörgeräteträger zuzahlungsfreie Hörgeräteversorgung mit allen technischen Mindestanforderungen möglich ist. Abhängig von der jeweiligen Krankenkasse liegt diese Zuzahlung zwischen 650,00 und 784,95 € für ein Hörgerät*. Leistungserbringer für die Hörgeräteversorgung und damit Vertragspartner der Krankenkassen ist in erster Linie der Hörgeräteakustiker. Er herrschte das Prinzip der "Leistungstrennung": Der HNO-Arzt verordnet die Hörgeräteversorgung und beurteilt abschließend die Anpassung der Hörgeräte durch den Hörgeräteakustiker.

Neben dieser "klassischen" Versorgung gibt es zudem die Möglichkeit des sogenannten "verkürzten Versorgungsweges". Bei diesem wirkt der HNO-Arzt bei der Versorgung aktiv mit und erhält hierfür von der Krankenkasse eine Vergütung. Er unterstützt beispielsweise bei der Beratung und Feinanpassung der Hörgeräte. Die AOK Bayern ebnete bereits im September 2012 den Weg für eine solche Versorgung. Weitere Landesorganisationen der AOK, zum Beispiel Niedersachen oder Sachsen-Anhalt, sowie einige Betriebskrankenkassen folgten diesem Modell.

Verkürzter Versorgungsweg nun auch bundesweit bei vdek-Kassen

Seit dem 1.9.2016 bietet nun auch der Verband der Ersatzkassen e.V. (vdek), zu dem unter anderen die Barmer GEK, die Techniker Krankenkasse (TK), die DAK-Gesundheit sowie die Kaufmännische Krankenkasse zählen, einen bundesweit geltenden Rahmenvertrag für den verkürzten Versorgungsweg.

Es handelt sich dabei in erster Linie um ein Bekanntmachungsverfahren, welches in Zukunft vielleicht so umgesetzt werden kann.

Stimmt ein Hörgeräteakustiker dem neuen Rahmenvertrag zu, können sich mit ihm kooperierende HNO-Ärzte bei der Krankenkasse registrieren lassen. Die Versicherten können dann bei den teilnehmenden HNO-Ärzten selbst wählen, ob sie sich über ihn und dem verkürzten Versorgungsweg oder klassisch ganzheitlich durch einen fachkompetenten Hörgeräteakustiker versorgen lassen möchten. 

Verkürzter Versorgungsweg vs. qualitativ hochwertige Hörgeräteanpassung

Beim verkürzten Versorgungsweg ist der HNO-Arzt laut Vertrag verpflichtet, alle Leistungen, wie Hörprüfung, Hörgeräteberatung, Anfertigung von Otoplastiken sowie Nachjustierung der Hörgeräte vor Ort, in seiner Praxis zu erbringen. Der Schwerpunkt soll dabei auf einer zuzahlungsfreien Hörgeräteversorgung liegen, und nur auf ausdrücklichen Wunsch des Versicherten werden auch höherwertige Hörgeräte angeboten. Diese ermöglichen beispielsweise ein verbessertes, räumliches Hören oder aber die Verbindung mit dem Smartphone oder Fernseher.

Für die Bereitstellung von Hörgeräten, die Fertigung der Otoplastiken (Ohrpassstücke) und Ersteinstellung der Hörgeräte ist der Hörakustiker zuständig. Er hat diese anschließend an den HNO-Arzt zu liefern. Alle weiteren Einstellungen, die das subjektive Empfinden des Hörgeräteträgers berücksichtigen, sollen „online“ via Fernanpassung durch einen Hörgeräteakustikmeister erfolgen.

Zeit, um auf die persönlichen Hörwünsche gezielt einzugehen, kann auf diesem Wege nur bedingt erwartet werden. Zudem ist auch mit längeren Wartezeiten/ Lieferzeiten zu rechnen, da sowohl Reparaturen oder Nachbesserungen der Otoplastik über diesen Weg des Austausches zwischen HNO-Arzt und Akustiker laut Vertrag zu erfolgen hat. Der Verbraucher kommt in der Theorie zu keinem Zeitpunkt seiner Hörgeräteversorgung oder Nachsorge in direkten, persönlichen Kontakt zu seinem Hörgeräteakustiker.

Ist die finale Hörgeräte-Wahl getroffen, findet die Abschlussmessung und Erfolgskontrolle der Versorgung für die Krankenkasse durch den HNO-Arzt selbst statt. Ob es dem HNO-Arzt dabei auch wichtig ist, dass neben dem bestmöglichen Sprachverstehen auch der Klang der Hörgeräte und der Hörkomfort für den Träger im Alltrag angenehm ist, bleibt abzuwarten. 

Die Möglichkeit, dass die Geräte somit in der sprichwörtlichen Schublade landen, ist damit eher gegeben als bei einem umfänglichen Beratungs- und Anpassungskonzept eines Akustikers. Denn gerade dieses basiert auf einem intensiven Dialog zwischen ihm, dem Hörgeräteakustiker, und dem Schwerhörigen.

Bundesinnung der Hörgeräteakustiker gegen Hörgeräteversorgung durch HNO-Arzt

Jakob Baschab zum verkürzten Versorgungsweg

Der Hauptgeschäftsführer der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker (biha), Jakob Baschab, äußerte sich gebenüber der marktintern (mi) wie folgt:

Es ist bekannt, dass die biha den verkürzten Versorgungsweg auch aus qualitativen Gründen ablehnt. Immer dann, wenn ein Arzt an seiner Verordnung finanziell zusätzlich mitverdient, besteht die Gefahr, dass er sich nicht ausschließlich von medizinischen Gründen leiten lässt. Dem vdek ist es freigestellt, innerhalb der ihm vom Gesetzgeber vorgegebenen rechtlichen Leitplanken (§ 128 SGB V) solche Verträge abzuschließen. Er ist dann aber auch dafür verantwortlich, dass die Bedingungen nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch eingehalten werden.“

Hoffnung der Ersatzkassen durch verkürzten Versorgungsweg 

Qualifizierte Hörakustiker in Ihrer Nähe

Für den verkürzten Versorgungsweg gewährt die Krankenkasse dem Leistungserbringer einen geringeren Zuschuss. Dieser beläuft sich bei der AOK zum Bespiel auf 575,- €*, der zwischen HNO-Arzt mit 125,- € und Hörgeräteakustiker mit 450,-€ aufgeteilt wird. Eine herkömmliche Versorgung über den Hörgeräteakustiker wird mit dem entsprechenden und höher liegenden Vertragspreis bezuschusst, der bei der AOK bei 685,- €* liegt.

Neben dem finanziellen Vorteil scheint es den Krankenkassen zudem um einen höheren Absatz von zuzahlungsfreien Hörgeräteversorgungen zu gehen. Der Wertevorstellung, dem Endverbraucher optimal und zu seiner Zufriedenheit mit einem Hörgerät zu versorgen und ihn dabei auch Erfahrungen mit höherwertiger Technik sammeln zu lassen, steht für die Krankenkassen offenbar nicht im Vordergrund. Denn es ist gerade der intensive, persönliche Austausch zwischen Hörakustiker und Verbraucher, die eine Hörgeräteversorgung erfolgreich werden lässt. Die Krankenkassen können mit diesem Konzept sicher ihrem Anspruch gerecht werden, Schwerhörige flächendeckend mit Hörgeräten zu versorgen. Doch wird am Ende die Qualität der Anpassung und damit die Akzeptanz von Hörgeräten gesteigert?

Fazit für den Verbraucher: Über beide Wege sind zuzahlungsfreie Hörgeräte erhältlich, bei dem lediglich die gesetzliche Zuzahlung von 10,- € pro Hörgerät zu zahlen sind. Der Unterschied liegt in den persönlichen, qualitativen, flexiblen und zeitnahen Serviceleistungen. 

Bilder: Biha

* Preis gilt für ein Hörgerät, exklusive Reparaturpauschale, Zubehör und Otoplastik, Abschlag für zweites Hörgerät bei beidseitiger Versorgung nicht berücksichtigt