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Herzblut und Handwerkskunst: ein Blick in die Bernafon-Manufaktur

Eindrücke aus Berlin

Wer Bernafon hört, denkt sofort auch an Im-Ohr-Hörgeräte. Aber wieso eigentlich? Bernafon ist gewissermaßen die letzte Bastion, die ihre IdOs vollständig in Deutschland fertigt. Aber macht das den Hersteller automatisch zum IdO-Profi? Wir haben uns auf den Weg nach Berlin gemacht, um die Im-Ohr-Manufaktur des eigentlich schweizerischen Unternehmens zu besuchen und stießen vor allem auf zwei Dinge: traditionelle Handwerkskunst und viel Herzblut.

Herzblut und Handwerkskunst: ein Blick in die Bernafon-Manufaktur

Carsten Braun ist seit über zehn Jahren Leiter Audiologie bei Bernafon, Leiter der Bernafon Akademie und noch viel länger Hörakustikmeister mit Leib und Seele. Mit ihm haben wir uns am Manufaktur-Standort in Berlin getroffen, um herauszufinden, was den schweizerischen Hersteller so besonders macht – und welchen Stellenwert das Werk in der deutschen Hauptstadt für das Unternehmen hat.

Bernafon Berlin
Im Bernafon-Standort in Berlin wird die Produktlinie Alpha von Hand hergestellt.

Ein paar Eckdaten: Bernafon sitzt im schweizerischen Bern und gehört zur dänischen Demant Gruppe. In Bern und Kopenhagen werden die Hörtechnologien entwickelt. Die Fertigung der Im-Ohr-Hörgeräte findet in Stettin und Berlin statt. Die deutsche Bernafon Manufaktur ist seit über 40 Jahren in Betrieb und beschäftigt 20 Mitarbeitende – manche von ihnen sind schon seit Bosch-Zeiten von Beginn an und zum Teil in dritter Familiengeneration dabei. In der Berliner Manufaktur stellt das Unternehmen ausschließlich seine neueste Produktlinie Alpha her. Handgefertigte Unikate – Made in Germany. Die anderen Produktlinien (auch Alpha) werden im Demant Fertigungscenter Stettin, Polen, fabriziert. „Der zusätzliche Produktionsstandort in Stettin spielt für Bernafon Deutschland seit einigen Jahren eine wichtige Rolle. Denn durch die zwei parallelen Linien sind große Nachfragewellen nun besser bewältigbar – für die Arbeitsweise in der Berliner Manufaktur hat sich dadurch nichts geändert“, erklärt Carsten Braun.

„Leidenschaft kann man nicht digitalisieren.“

Stettin sei die die ideale Fertigungslinie für Kunden, denen Preisleistung und Durchlaufzeit wichtig seien. In Berlin hingegen finde noch traditionelles Handwerk statt, betont Braun. „Wir bearbeiten hier ausschließlich analoge Abformungen. Diese benötigen wir für eine speziell für den Nutzer angefertigte Negativform, die exakt dem Gehörgang entspricht – mit all seinen Details. Die Abformung wird dann zunächst so bearbeitet, wie später auch das fertige Im Ohr Hörgerät aussehen wird. Dabei werden Sitz, Einsetzbarkeit, Schallaufnahme und -abgabepunkt bestimmt. Das machen unsere erfahrensten Mitarbeiter. Erst dann scannen wir die Abformung für die digitale Weiterbearbeitung ein. Bis zu diesem Schritt ist es wie früher, klassisches Handwerk. Leidenschaft und Jahrzehnte lange Erfahrung kann man nicht einfach digitalisieren.“

Mit einem Programm könne man beispielsweise nicht prüfen, welcher Druck auf das IdO einwirke, ob es sich nach außen bewegen würde, ob es zu festsitze. Das sei der Kernunterschied. „Wir sind die einzigen, die so arbeiten“, bekennt Braun. „Durch die Negativform haben wir den Kunden immer bei uns, als würde der Hörgeräteträger vor uns sitzen und wir modellieren das Hörgerät in seinem Ohr. Man sieht in den Negativformen teilweise sogar noch die Hautporen. Genauer kann man IdOs nicht anpassen. Die Durchlaufzeit steigt dadurch, aber viele unserer Manufakturpartner nehmen das gerne in Kauf. Unseren Kunden und den späteren Nutzern ist klar, dass sie auf ein handgefertigtes Produkt aus Berlin ein wenig länger warten müssen.

„Wenn es einer hinkriegt, dann ihr.“

Auf diese Weise seien auch diverse Sonderwünsche möglich, zum Beispiel im Rahmen der nahezu unsichtbaren TIK (Tief im Kanal)-Bauform, oder – wenn die Gehörganganatomie keine herkömmliche IdO-Bauweise zulässt – des Cymba-Hörgeräts, bei welchem die Technik in der Cymba untergebracht ist. Auch der Wahl des Materials und der Farben seien kaum Grenzen gesetzt. Titan, beispielsweise, bietet Bernafon seit vielen Jahren an. „Wir können sogar die Schalen in den Firmenfarben und das Kundenlogo auf das Hörsystem drucken. Wir wollen unsere Kunden in deren lokalen Markt groß machen, in dem wir Produkte liefern, die keine industrielle Massenware sind. Eben kein Instant-Fit von der Stange. Alles Unikate. Das entlässt unsere Manufakturpartner aus der Vergleichbarkeit vor Ort. Unsere Kunden sagen manchmal: Wenn es einer hinkriegt, dann ihr. Natürlich ist die Erwartungshaltung dadurch hoch“, gesteht Carsten Braun.

Die beliebteste Bauform sei jedoch das CIC (Completely-In-Canal). „Hier kann man den Manufakturbonus am besten ausspielen“, erklärt Braun. „Man braucht eine exakte Kopie des Gehörgangs und sehr, sehr viel Erfahrung. Am zweithäufigsten würden IIC (Invisible-In-Canal)-Hörsysteme angefragt werden, die kämen dem natürlichen Hören am nächsten und eigneten sich daher auch am besten für einseitige Hörverluste. „Und an dritter Stelle stehen die Wireless-Geräte, vor allem die ITC-Bauform. Wiederaufladbare Akkus haben wir nicht im Sortiment, aus Platzgründen. Wir würden viel audiologischen Nutzen verlieren, wenn wir durch einen Akku die Mikrofone weiter nach außen versetzen müssten. Und letztendlich muss man sich fragen: Weshalb ist die Kundin eigentlich gekommen? Sie würde gerne wieder so hören wie früher. Meine Aufgabe als Akustiker ist, so nah wie möglich dort ranzukommen. Das schaffe ich am ehesten, wenn ich die Faceplate so tief wir möglich positioniere. Und das ließe sich mit den derzeitig verfügbaren fest verbauten Akkuzellen nur bedingt umsetzen.“

Die natürliche Funktion der Ohrmuschel

Carsten Braun Bernafon
Mithilfe eines selbstgebauten Modells demonstriert Carsten Braun die Wichtigkeit der Ohrmuscheln für natürliches Hören.

Wie entscheidend die Positionierung der Mikrofone im Gehörgang für die Lokalisierung von Geräuschen ist, demonstrierte Carsten Braun an einem selbstgebauten Modell mit CIC-Hörgeräten und abnehmbaren Ohren das er für Schulungen in der Bernafon Akademie verwendet. Wir setzten Kopfhörer auf, er sprach und drehte dabei das Modell. Wegen der Ohrmuscheln konnte man eindeutig feststellen, aus welcher Richtung die Sprache kam. Nahm er die Ohren ab, war eine Lokalisierung kaum noch möglich.

Für Braun sei die Unsichtbarkeit der Im-Ohr-Hörgeräte daher lediglich ein positiver Nebeneffekt: „Mich interessieren die audiologischen Vorteile. Wenn man die eigene Ohrmuschel in den Verstärkungsprozess integriert, hat das eine enorm positive Wirkung auf das Richtungsgehör und vor allem auf die Natürlichkeit des Klangs. Und um das zu erleben, haben wir dieses Modell entwickelt. Man muss bedenken: Die statistische Kundin ist 72 Jahre alt, seit 8 Jahren schwerhörig und möchte einfach nur hören wie früher. Da spielt die eigene Ohrmuschel-Anatomie eine entscheidende Rolle.“

Trotzdem beträgt der Anteil von Im-Ohr-Systemen am deutschen Hörgerätemarkt nur 19 Prozent, und das obwohl sogar 70 Prozent der Neukunden bereits mit dem Wunsch nach einem IdO in den Laden kämen. Sie sind also schon motiviert und haben klare Vorstellungen. Daher sei es wichtig, diese Kunden mit einem möglichst breiten Wissen über die IdO-Anpassung weiter auf ihrem Weg zum besseren Hören zu unterstützen.  

Großes Interesse an IdO-Workshops

Priorität habe deshalb auch das Angebot der Bernafon Akademie, welche Carsten Braun leitet. „Einen Platz in unseren Workshops in Berlin zu bekommen war zeitweise härter als ins Berghain zu kommen“, witzelt Carsten Braun über die gelegentlich langen Wartelisten für die IdO Workshops. [Anm. der Redaktion: Das Berghain ist ein legendärer Szene-Club in Berlin.] „Wir können aber inzwischen weitere Zusatztermine für das 1. Halbjahr 2023 anbieten. Einige Hörakustiker haben die IdO Versorgung in den letzten Jahren unterschätzt und das Knowhow ist ein wenig verlorengegangen. Es gibt nach wie vor Unsicherheiten aus früheren Zeiten: Z.B., dass man Hochtonsteilabfälle nicht mit IdOs versorgen könne, oder die Okklusion würde die Kunden belasten. Das Wissen darüber müsse manchmal einfach nur wieder in Form gebracht oder neu aufgesetzt werden.“

Und das findet guten Anklang: „In kleinen Gruppen, maximal zwölf Leute, messen wir dann beispielsweise per in-situ Okklusionen, besprechen Vent- und Schalenmodifikationen und auch Vieles,  was die Altmeister früher im Betrieb bei der IdO Versorgung ganz selbstverständlich gemacht haben.“ Mit nachhaltigem Erfolg: „Nach so einem Tag sind viele sehr motiviert. Wenn erfahrene Akustiker mir sagen, sie hätten früher viel mehr IdOs angepasst, frage ich: Und wie hat es damals geklappt? Als Antwort kommt meist: Gut. Und auf meine Nachfrage, was dann passiert sei, kommt oft: Ich weiß auch nicht mehr so genau. Viele Teilnehmende der Workshops möchten selbstverständlich auch unsere Manufaktur besichtigen. Mit den Mitarbeitenden sprechen. Und einige bekommen dadurch eine Extra-Motivation, wenn sie sehen, wie stolz unsere Mitarbeiter ihre Arbeiten zeigen. Wir wollen den Teilnehmern Mut zusprechen und gleichzeitig Wissen vermitteln, das in der Ausbildung eventuell zu kurz kam oder vielleicht wieder vergessen wurde. 20 Prozent Marktanteil kann man nicht einfach liegenlassen.“

Die Motivation des Kunden aufgreifen

Bei den Im-Ohr-Workshops gehe es nicht vordergründig um Produkte oder Marketing-Aussagen, sagt Carsten Braun. „Es geht darum, was mache ich, wenn der Kunde im Anpassprozess dieses oder jenes äußert oder sich Verbesserung wünscht. Viele Kunden haben sich ja im Vorfeld bereits informiert und haben klare Vorstellungen. Wie gesagt: Ca. 70 Prozent wünschen sich eine unauffällige IdO Versorgung. Und genau diese Motivation sollte man nutzen, um den Kunden in seinem Vorhaben zu unterstützen. Schwerhörigkeit ist ja zunächst mal unsichtbar und wird erst durch das Hörgerät sichtbar – und wenn dann trotz des IdO-Wunschs erstmal drei HdOs präsentiert werden, steigt der Widerstand des Kunden. Wenn man seinen Wunsch jedoch objektiv aufgreift, kann man die Motivation halten und kommt deutlich leichter durch den Anpassprozess.“

An Argumenten für Im-Ohr-Hörgeräte mangelt es Carsten Braun nicht: Aus eigener Erfahrung würden IdOs zum Beispiel deutlich länger getragen als HdOs, da sie weniger störten. Der höhere Beratungsaufwand lohne sich: „Bei Hörgeräten gibt es immer mehr Rückläufer, weil es Praxis geworden ist, den Kunden die Wahl der Technologiestufe zu überlassen oder möglichst viele Geräte zu testen. Die Kunden wünschen sich aber oft eine klare Expertise. Man muss einfach im Vorfeld mehr fragen. Mehr lösungsorientierte Fragen stellen, den Kunden selbst die Antworten erkennen lassen und ihn von Anfang an deutlich stärker mit einbinden. Zehn Minuten länger beraten und herausfinden, was der Kunde wirklich braucht. Und: Mit den IdOs die Versorgung beginnen“! sagt Braun.

Der Bernafon-Ansatz wirkt im Angesicht der aktuellen Trend-Wende Richtung Konnektivität und Personalisierung zunächst vielleicht etwas überraschend. In erster Linie stellt sich das Team um Carsten Braun jedoch die Frage, wie es dem übergeordneten Wunsch eines jeden schwerhörigen Menschen so nah wie möglich kommt: zu hören wie früher. Und erst dann kommen Bluetooth-Konnektivität und weitere Funktionen, die aus Bernafons aktueller Alpha-Generation Hörgeräte machen, die selbstverständlich mit der Zeit gehen.

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