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Rezeptfreie Hörgeräte krempeln den US-Markt um

FDA: Erste Gesetzentwürfe für OTC-Hörgeräte

Eines der insgeheimen Top-Themen in diesem Jahr ist das Thema FDA und OTC-Hörgeräte. Während Hersteller wie Bose und Nuheara in den USA Sondergenehmigungen für ihre im eigentlichen Sinne nicht als Hörgerät klassifizierbaren Hörlösungen erhalten, boxt Präsident Biden ein Gesetz für freiverkäufliche Hörgeräte durch, das seit Jahren überfällig ist. Der Entwurf des Letzteren liegt nun vor – und stößt nicht nur auf Wohlwollen. Denn er könnte riesige Auswirkungen auf die gesamte US-amerikanische Hörgerätebranche haben.

Rezeptfreie Hörgeräte krempeln den US-Markt um

Hintergrund für die neuen OTC-Regularien für Hörgeräte

Premium-Hörgeräte kosten in den USA – ähnlich wie in Deutschland – etwa 5.000 Dollar pro Paar. Anders als bei uns, beteiligt sich dort jedoch normalerweise selten eine Krankenversicherung. Lediglich die VA (Department of Veterans Affairs) und Mediaid übernehmen für 15% bzw. 6% anteilige Kosten.

Auch in den USA sind Audiologen in die qualifizierte Hörgeräteversorgung involviert. Das ist vor allem in ärmeren und abgelegeneren Regionen ein Problem. Eine Studie von 2019 ergab, dass in den Regionen mit den meisten älteren Erwachsen mit Hörverlust oft weniger Audiologen zur Verfügung stehen als in jüngeren und wohlhabenderen Stadtgebieten.

All das führt dazu, dass unter allen 38 Millionen Erwachsenen mit Hörverlust in den USA nur etwa ein Drittel jemals ein Hörgerät getragen hat. Dem versucht die FDA (Food and Drug Administration, abgekürzt FDA,US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel) mit der neuen OTC-Regelung entgegenzuwirken. Aber auch viele andere Bereiche des US-Gesundheitssystems sollen durch mehr Wettbewerb und günstigere Preise die Gesundheitsversorgung erschwinglicher und besser machen.

Freiverkäufliche und günstigere Hörgeräte als Lösung

OTC-Hörgeräte sind Geräte, die mittels vorprogrammierter Automatik und zum Teil integriertem Hörtest das Sprachverstehen in ausgesuchten Situationen verbessern können.

Solche Hörsysteme könnten ohne Audiologen vertrieben werden und würden nur einen Bruchteil von dem kosten, was für herkömmliche Hörgeräte verlangt wird. Als Nebeneffekt würde der Hörgerätemarkt durch mehr Wettbewerb „aufgelockert“ werden, den derzeit hauptsächlich fünf große Hersteller dominieren.

Und ein weiteres Problem wäre ebenfalls gelöst: Durch den Verkauf von freiverkäuflichen, durch die FDA auf ihren medizinischen Nutzen untersuchten Hörgeräten, hätten es unkontrollierte PSAPs schwerer. Diese Hörverstärker waren bisher für viele eine kostengünstige, vermeintliche Alternative zu teuren Hörgeräten, können mitunter das Gehör aber noch mehr schädigen. Ein OTC-Gesetz hätte also eigentlich nur Vorteile – oder?

OTC-Hörgeräte: Das sagt die FDA

Die neuen Hörgeräte-Regeln sollen laut FDA darauf abzielen, Innovationen anzuregen und den Wettbewerb anzukurbeln. Gleichzeitig sollen sie sicherstellen, dass die neuen Over-The-Counter-Hörgeräte medizinisch sicher und effektiv sind. Angesprochen werden vor allem Menschen mit leichtem bis mittelschweren Hörverlust, die sich entweder noch nicht bereit für Hörgeräte fühlen, oder aber sich diese nicht leisten wollen oder können oder aber schlichtweg keinen Audiologen in der Nähe haben.

Schwerhörige ab 18 Jahren können ein OTC-Hörgerät erwerben. Jüngere Menschen, oder aber Leute mit schweren Hörverlust (WHO 3 oder WHO 4) müssten weiterhin verschreibungspflichtige Hörgeräte inklusive audiologischer Anpassung beanspruchen. Um die Sicherheit zu gewährleisten, soll außerdem auch eine maximale Ausgangsleistung für die rezeptfreien Hörgeräte festgelegt werden, um die Gefahr zu minimieren, das Gehör durch zu hohe Lautstärke weiter zu beschädigen.

Die FDA-Regeln definieren zudem Mindestanforderungen an die OTC-Hörgeräte. Dazu zählen bestimmte Grenzwerte, die beispielsweise den Verzerrungsgrad, Rückkopplungen oder die Latenzzeit betreffen. Festgelegt wurde auch der Frequenzbereich, den das Hörgerät wiedergeben kann, wie gleichmäßig es über seine Bandbreite verstärken können muss und wie tief es im Ohr sitzen darf.

US-Hersteller Starkey kommentiert OTC-Hörgeräte-Beschluss

Vor einiger Zeit äußerte sich der Hörgerätehersteller Starkey bedenklich gegenüber der öffentlichen Wahrnehmung eines OTC-Gesetzes. Auch nun tut Brandon Sawalich, CEO von Starkey, Sorge kund. Rezeptfreie Hörgeräte dürften nicht als Allheilmittel für alle Hörprobleme gesehen werden. Er befürchte, dass manche Akteure unterdurchschnittliche Geräte als Hörgeräte verkaufen und damit die Verbraucher täuschen könnten, die eigentlich ein hochwertiges Hörgerät suchten. Weiter: „Meine einzige Sorge bei all dem ist der Ruf der Hörgeräte. All das könnte Verwirrung über Hörgeräte und die Rolle des Hörakustikers stiften.“

PSAP versus OTC-Hörgerät

Tatsächlich liegt es in der Verantwortung der FDA, den gar nicht mal so deutlichen Unterschied zwischen medizinisch sicheren OTC-Hörgeräten und potenziell gefährlichen Personal Sound Amplifiern klarzustellen. Dazu veröffentlichte die FDA zusammen mit dem OTC Hörgeräte-Gesetzesentwurf den Leitfaden „Regulatory Requirements for Hearing Aid Devices and Personal Sound Amplification Products (PSAPs)“.

Kern dessen ist die Klarstellung, dass PSAPs keine rezeptfreie Alternative zu Hörgeräten seien, da ihr eigentlicher Zweck darin liege, Menschen mit normalem Gehör zu helfen, Töne zu verstärken. Im Gegensatz dazu seien OTC-Hörgeräte eine geprüfte Alternative. Inwieweit diese Information bei der amerikanischen Gesamtbevölkerung durchdringen wird, bleibt abzuwarten.

Kritik am rezeptfreien Hörgerät

Das neue OTC-Hörgeräte-Gesetz ist längst überfällig. Dennoch brachte die Veröffentlichung der Regularien einige Kritik mit sich. So beschwert man sich in den sozialen Medien vor allem über die schwammige Abgrenzung von PSAP und rezeptfreiem Hörgerät.

Im Leitfaden heiße es: „Ein Produkt kann als Hörgerät eingestuft werden, wenn es Hinweise darauf gibt, dass es für die Verwendung in Situationen geeignet ist, die typischerweise mit einem Hörverlust/ einer Hörbeeinträchtigung einhergehen und darauf hindeuten.“ Auch dass ein Produkt als Hörgerät eingestuft werde, wenn „dem Nutzer Informationen übermittelt werden, um das Produkt für sein Hörverlust-/Schwerhörigkeitsprofil zu optimieren“, treffe auf nahezu jedes PSAP zu, einschließlich auf die AirPods Pro mit Conversation Boost und Audiogramm-Importfunktion.

Bis das Thema OTC-Hörgeräte wirklich spruchreif ist, dauert es ohnehin noch etwa bis nächsten Sommer. So lange hat auch die FDA Zeit, auf den aufkeimenden Klärungsbedarf zu reagieren. Und wir in Deutschland haben ohnehin eine vorteilhafte Position: Bis rezeptfreie Hörgeräte hier als echte Alternative gehandelt werden, wird noch deutlich mehr Zeit verstreichen. Und bis dahin bleibt eine Versorgung mit „klassischen“ Hörgeräten nach wie vor die erste und dank unserer Krankenkassen auch eine erschwingliche Wahl.