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Zukunftsweisende Forschung: Medikament gegen Hörverlust

Nicht mit einem Hörgerät oder Cochlea-Implantat, sondern mit einer regenerativen Therapie möchten Wissenschaftler zukünftig Schwerhörigkeit bekämpfen. Das Richtungsweisende daran: Es geht nicht einfach darum, fehlendes Hörvermögen auszugleichen, sondern es vollständig zurückzuholen. Bestimmte Moleküle werden dazu direkt in das Ohr injiziert. In Studien stellten die Forscher des Biotechnologieunternehmens Frequency Therapeutics bereits nach einmaliger Anwendung deutliche Verbesserungen des Hörvermögens fest.

Zukunftsweisende Forschung: Medikament gegen Hörverlust

Wird unser Gehör älter oder ist es lauten Geräuschen ausgesetzt, nutzen sich die Haarzellen in der Cochlea ab. Sie übertragen den Schall an den Hörnerv und dieser ihn schließlich ans Gehirn, wo ein hörbarer Ton entsteht. Je weniger Haarzellen intakt sind, desto weniger hört der Mensch. Ein Hörgerät schafft Ausgleich, indem es die betroffenen Frequenzen stärker beschallt. Ein Cochlea-Implantat kommt zum Einsatz, wenn auch dafür nicht mehr genügen Haarzellen übrig sind.

Regeneration der Haarzellen im Innenohr

Beides ist in Zukunft vielleicht nicht mehr nötig. Denn das Biotechnologieunternehmen Frequency Therapeutics forscht seit einiger Zeit an einer regenerativen Therapie, die neue Haarzellen entstehen lassen möchte. Es verwendet kleine Moleküle, um Vorläuferzellen – Nachkommen von Stammzellen – im Innenohr zu programmieren. Daraus können dann Haarzellen entstehen, die uns das Hören ermöglichen.

Eine Spritze gegen Schwerhörigkeit

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Der direkte Vergleich: Vor der Behandlung (links) sind in einigen Bereichen gar keine Haarzellen mehr zu finden. Nach der Behandlung (rechts) sind fürs Hören essenziellen Haarzellen großflächig wiederhergestellt.
Bild: Hinton AS, Yang-Hood A, Schrader AD, Loose C, Ohlemiller KK, McLean WJ.

Vorläuferzellen sind Abkömmlinge von Stammzellen, weshalb sie dieselben Regenerationseigenschaften aufweisen. Der Unterschied: Sie sind bereits für ihren entsprechenden Funktionsbereich festgelegt. Im Mutterleib entwickeln sie sich dann beispielsweise zu Haarzellen in der Cochlea. Nach der Geburt werden die Vorläuferzellen inaktiv – die etwa 15.000 Haarzellen, die zu diesem Zeitpunkt entstanden sind, sind also limitiert.

Injiziert man allerdings die entsprechenden Moleküle ins Innenohr, werden die Vorläuferzellen dort reaktiviert und wandeln sich in Haarzellen um. Doch dabei muss es nicht bleiben, sagt Chris Loose, PhD `07, Mitbegründer und Chief Scientific Officer von Frequency : „Gewebe im ganzen Körper enthalten Vorläuferzellen, daher sehen wir eine große Bandbreite an Anwendungen. Wir glauben, dass das die Zukunft der regenerativen Medizin ist.“

Die Forscher kamen darauf, als MIT-Professor Robert Langer und Jeff Karp von der MIT-Fakultät Health Sciences and Technology – beide ebenfalls Mitbegründer des Unternehmens – den menschlichen Darm untersuchten. Er hat die Eigenschaft, sich beinahe täglich zu regenerieren: Bestimmte Moleküle regen Stammzellen dazu an, sich in die entsprechenden Zellen zu verwandeln. Das Forscherteam hat entdeckt, dass dieselben Moleküle auch bei Vorläuferzellen genutzt werden können, damit sie sich zu spezialisierten Zellen entwickeln – ein Durchbruch.

Studien sprechen für sich

In der ersten klinischen Studie des Unternehmens konnte bereits nach einer einzigen Injektion Verbesserungen des Sprachverstehens festgestellt werden, die bis zu zwei Jahre anhielten. Zwei weitere Studien folgten, die ebenfalls bedeutsame Gehörverbesserungen feststellen konnten. „Einige dieser Leute konnten 30 Jahre lang nichts hören und zum ersten Mal sagten sie, sie könnten in ein überfülltes Restaurant gehen und hören, was ihre Kinder sagen“, so Prof. Langer. Aktuell läuft eine weitere Studie mit 124 Teilnehmern. Vorläufige Ergebnisse werden Anfang 2023 erwartet.

Karp sieht in dieser regenerativen Therapie eine große Zukunft: „Ich wäre nicht überrascht, wenn wir in 10 oder 15 Jahren aufgrund der Ressourcen, die in diesen Bereich gesteckt werden, und der unglaublichen Wissenschaft, die betrieben wird, an den Punkt kommen würden, an dem die Umkehrung des Hörverlusts einer Lasik-Operation ähnlich wäre: Ein oder zwei Stunden und die Sehkraft ist vollständig wiederhergestellt. Ich glaube, das Gleiche werden wir beim Hörverlust sehen.“

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