„Frisch lackiert“ – die neuen R&D Labore von Sivantos in Erlangen

Wenn der Lack ab ist, streicht man bekanntlich neuen darüber. Wenn man allerdings die neuen Einrichtungen der Forschung und Entwicklung von Sivantos in Erlangen besucht, wird einem klar: Hier war nie der Lack ab. Ganz im Gegenteil. Man kommt sich vor, wie in einem dieser hochentwickelten Denkfabriken hiesiger Technologieunternehmen im kalifornischen Silicon Valley.

Wir waren jedoch zu Besuch in Erlangen. Die fränkische Stadt beherbergte die damalige Audiologische Technik von Siemens schon an unterschiedlichen Standorten. Und unterhält man sich mit Mitarbeitern, die diese vielen Standorte noch kennen und vollständig aufzählen können, gerät man ohne Umwege in einen zeithistorischen Strudel. Vom bisherigen Stammsitz in der Gebbertstraße zog die Forschungs- und Entwicklungsabteilung nun in die neuen, modernen Räumlichkeiten in der Henri-Dunant-Straße. Diesen Standort gab es bereits vorher.

Sivantos Erlangen

"Frisch lackiert"

Es roch überall noch nach frischer Farbe

Chip Entwicklung

Chip-Design

Der Grundaufbau der Chips entsteht von Hand in Erlangen

Prof. Dr.-Ing. Hennig Puder

Prof. Dr.-Ing. Hennig Puder

Leiter Embedded Systems und Gast-Professor an der TU Darmstadt

Hier sind bisher vor allem Marketing und Vertrieb zu Hause. Die Wege zwischen der F&E, dem Produktmanagement und der Vertriebsmannschaft Europa und Deutschland waren also lang. 15 Minuten musste man laufen. Es ist mehr als eine Symbolik, wenn man heute sagen kann: Die Wege sind nun kurz. Soweit zum Hintergrund, und nun Schluss mit der kleinen Zeitreise. Denn in den neuen F&E Laboren stehen die Zeiger eher auf „Zurück in die Zukunft“.

Eine Millionen-Investition in die Zukunft der Hörgeräteentwicklung

Wir werden begrüßt von Prof. Dr. Hennig Puder, dem Leiter Embedded Systems, und Christian Honsig, dem Geschäftsführer von Signia in Deutschland. Er schwärmt gleich zu Beginn: „Es ist einfach faszinierend, mit welcher Vielfalt und Hingabe bei uns Hörgeräte entwickelt werden.“ Wir waren uns gar nicht bewusst, dass die Entwicklung der Chips, also der Plattformen mit ihren Features, in Deutschland stattfindet – „Deutsche Ingenieurkunst inside“ quasi. Sie ist also verantwortlich für die Hörgeräte, die auf der ganzen Welt verkauft werden. Immerhin jedes 4. Hörgerät wird von Sivantos entwickelt und gefertigt.

Es riecht alles noch neu, doch die Mitarbeiter fühlen sich schon jetzt pudelwohl. Verständlich. Denn wo sonst kann man sich als Entwickler, Ingenieur oder Audiologe so austoben wie in topmodernen Laboren, die keine Wünsche offenlassen. Doch dazu später mehr. Investiert wurden mehrere Millionen Euro. Ein klares Statement. Nicht nur für den Standort Deutschland, sondern auch für ein nachhaltiges, wachsendes Geschäft mit richtungsweisenden Technologien.

"Entscheidend ist, was der Markt braucht, aber auch das, was die Technik kann."

Prof. Dr. Hennig Puder

Die Phasen der Entwicklung

Dr. Dirk Junius, Head of Audiology Germany, zeigt uns gleich zu Beginn des Rundgangs, welche Phasen die Hörgeräteentwicklung eigentlich durchläuft.

Während der sogenannten Forefrontphase geht es vor allem um neue Konzepte, und deren spätere Wirksam- und Machbarkeit. Hier darf also gewünscht und auch mal gesponnen werden. Die eigentliche Denkfabrik. Es folgt die Plattformentwicklung. Sie umfasst die Feature-Optimierung und Konfiguration im Chip. Die anschließende Produktentwicklung fokussiert den Test des neuen Gesamtsystems in den Produkten. Hier wird anhand von Studien der audiologische Nutzen sichergestellt, so dass es schließlich zur Markteinführung kommen kann. Und hier kennen wir uns wieder aus. Wissenschaftliche Artikel, White Paper und natürlich Marketing gehören dazu, bis die Geräte dann schließlich auf dem AAA oder EUHA stolz präsentiert werden können.

Was sich alles so einfach anhört, dauert in Wirklichkeit Jahre. Mehrere Wissenschaftler, Ingenieure, Audiologen und Implementierer sind in Erlangen damit beschäftigt. Kaum zu glauben, dass der heutige Nx Chip schon so lange in den Köpfen der Entwickler herumschwirrt.

"Wir arbeiten in der Regel heute schon an der Welt von morgen."

Dr. Heike Heuermann, Leiterin der Plattformentwicklung

Welterfolg aus Erlangen

Man arbeitet in allen Phasen der Entwicklung mit Probanden zusammen. Personen also, die sich bereit erklären, Technologien von morgen kennenzulernen, im Alltag zu testen und zu bewerten. Die Technologien sollen später schließlich erfahrenen und unerfahrenen Hörgeräteträgern größtmöglichen Nutzen stiften. Dabei müssen natürlich auch internationale Aspekte berücksichtigt werden. Angefangen beim Klang und Dialekt verschiedener Sprachen bis hin zur Anpassung durch die Akustiker, Audiologen und Fachkräfte in den jeweiligen Ländern. Eine Mammutaufgabe.

Wir lassen unseren Blick schweifen. Über die PCs der Mitarbeiter hinweg sieht man vor den Fenstern die Kiefern des Tennenloher Waldes. Herbststimmung kommt auf und der Wind beflügelt das Laub. Eine alljährliche Routine mag man meinen. Draußen und drinnen wirkt es fast schon heimelig. Dort ein kleines Kuscheltier am Arbeitsplatz, hier das Bild eines Kindes, liebevoll an die Wand gehangen. Hier wird an der Zukunft geforscht und entwickelt? Hier entstehen Ideen, die das Leben von Millionen von Menschen verbessern werden? Doch wahrscheinlich braucht es dafür genau diese Routine und Erfahrung, die wir während unseres Besuches kennenlernen und mit der der Herbst draußen Einzug hält. Zum Beispiel hier …

Das WFS Lab

Wellenfeldsynthese WFS

Dr. Heike Heuermann

Erklärt das Prinzip der Wellenfeldsynthese

Wellenfeldsynthese WFS

360 Grad

Kreisförmig angeordnete Lautsprechner sorgen für realistische Eindrücke

KEMAR Kunstkopf

Geräuschloser Wind

Der Kunstkopf von "Kai Kemar" vor dem Windkanal

WFS ist die Abkürzung für Wellenfeldsynthese. Dieses Verfahren ist die Grundlage, um akustische Situationen des Alltages wiederzugeben, realitätsnah und beliebig reproduzierbar. Das Labor ist eine Art riesiges Tonstudio und wirkt wie eine gigantische Dolby Surround-Testanlage. Im Mittelpunkt befinden sich kreisförmig angeordnete Lautsprecher. Sie geben die Geräusche der Alltagssituationen wieder. In deren Mitte sitzen später die Probanden oder die Testpuppe, die liebevoll „Kai Kemar“ (1 mehr zum Namen unten) genannt wird. Man hört ringsum sowie Geräusche aus bestimmten Richtungen. Die verwendeten Beispiele wurden selbst produziert und aufgenommen.

Und wie es der Zufall will: Eine Woche zuvor war ich selbst an der S-Bahn-Station Berlin Friedrichstraße. Und während ich im WFS Lab sitze, meine Augen schließe und mir das Klangbeispiel von eben dieser Station so anhöre, denke ich, ich säße immer noch direkt am Bahnsteig und würde auf einen meiner Freunde warten. Wirklich mehr als beeindruckend.

Vom Fön ohne Motorengeräusch?

Klar, ein Haartrockner macht warme Luft. Er brummt. Je stärker der Fön, umso lauter das Geräusch. Muss er ja, wegen des Motors. Doch wer braucht einen Windkanal, der Wind erzeugt, ohne zusätzliche Geräusche? Easy, natürlich Mitarbeiter in der Grundlagenforschung für Hörgeräte. Warum? Wenn man Fahrrad fährt, brummt von vorn ja schließlich auch nichts. Mit diesem besonderen Windkanal verzaubert uns Prof. Dr. Puder. Er schwärmt geradezu. Frischer Wind für die Besucher. Es war ja auch ein ungewöhnlich warmer Tag für einen Oktober.

Der schalltote Raum

Zugegeben: es wirkt schon etwas mystisch, wenn man diesen Raum betritt. Er wirkt wie das Holodeck vom Raumschiff Enterprise. Unwirklich, denn die sogenannten Absorptionskeile sorgen dafür, dass man nichts Anderes wahrnimmt als seine eigene Stimme und sogar seinem Atem. Den höre ich sonst nur hecheln, wenn ich eine Runde Laufen gehe. Dieser Raum schafft eine Schalldämmung von circa 80 dB. Einen Fußboden gibt es nicht. Dafür eine Art Gitter aus dünnen Drahtseilen. Hinter zwei Schallschleusen werden in diesem Raum Messungen durchgeführt, vor allem Direktionalmessungen. Hier finden auch die Freigabemessungen für das Datenblatt statt.

Chip-Entwicklung aus Erlangen

Man kann sich kaum vorstellen, was 75 Millionen Transistoren leisten können. So viele stecken nämlich im neuen Signia Nx Chip. Vor dem schalltoten Raum gibt es einen eher unscheinbaren Arbeitsbereich. Einige Post-its, mehrere Bildschirme, Kaffeetassen und wilde Skizzen an der Wand. Doch was hier entsteht und noch von Hand gelötet wird, ist nichts Weiteres als das Design eines Hörgerätechips.

Hier lag auch mal der heutige Nx Chip. „Ist schon ein wenig her“ erklärt Georg Gottschalk lächelnd. Er ist für das Chip-Design zuständig. Diese Prototypen haben circa eine DIN A5-Größe. Als Laie erkennt man eine Leiterplatte. Hier werden die späteren „Features“ und Funktionen also entwickelt und zusammengesetzt. Aus der fertig entwickelten Schaltung wird ein miniaturisiertes Chip-Layout angefertigt, in das alle Funktionen auf weniger als 10 Quadratmillimeter „zusammengedampft“ sind. Daraus wird dann später in der Serienproduktion ein sogenannter Wafer. Eine Art runde Platte, auf der viele der Chips platziert sind. Welche Chip-Generation denn nun hier auf dem Tisch liegt, wollte ich wissen. Wie banal diese Frage war, wurde mir erst später bewusst.

Schalltoter Raum

Schalltoter Raum

Durch die Absorptionskeile wird Schall nahezu nicht reflektiert

Chip Entwicklung

Tüftelei: Chip-Design

Kaum vorstellbar, dass daraus mal ein Hörgeräte-Chip entsteht

Wafer mit Chips

Der Wafer ist der Träger vieler Chips, designed in Erlangen

Zu guter Letzt: das Team Wireless

Doch nun weiter zur nächsten Station. Ich bin zugegebenermaßen etwas geflasht von all den Eindrücken. Draußen steht „Antenna Chamber“ dran. Die Antennenkammer? Uns erwarten drei Entwickler, die an den Funk- beziehungsweise Bluetooth-Übertragungssystemen arbeiten. Bei Nx kommen ja bekanntermaßen zwei Funk-Systeme zum Einsatz. Ultra HD e2e ist zuständig für das binaurale Hören und baut auf e2e wireless in der dritten Generation auf.

Wer sich jetzt erinnert: e2e wireless erhielt bereits 2010 den Deutschen Zukunftspreis vom Bundespräsidenten. Dieses Siemens-Erbe wurde gepflegt und weiterentwickelt. Und Ultra HD e2e macht das neue Feature OVPTM überhaupt erst möglich.

Das zweite Funksystem für die Bluetooth Kommunikation ist neu hinzugekommen. Es ermöglicht das direkte Pairen mit Smartphones, die Bedienung mit der myControl App sowie das Audiostreaming vom bekannten Apple Smartphone oder den neuen Accessories.

In der Kammer selbst wird die Abstrahlung der Antennen gemessen und bewertet. Damit können Aussagen über eine stabile Funk-Verbindung zwischen Hörsystem und dem Smartphone getroffen werden. Letzteres mit möglichst geringem Stromverbrauch.

Kreatives Laborschild

Mit Leidenschaft dabei: "We connect for better hearing"

Antennenkammer

Hier werden Funk- und Bluetooth-Übertragungssysteme entwickelt und getestet

Die gelaserte Antenne

Patentiert ist die Bluetooth-Antenne des neuen Pure 312 Nx

Eine Antenne, die man lasert

Und hier wurde sie entwickelt. Die neue, patentierte Bluetooth-Antenne des Pure 312 Nx. Der Bauraum für die Antenne im Inneren war sehr klein. So entstand die Idee, die Antenne auf den inneren Rahmen des Hörgerätes aufzubringen. Dabei verbindet sich durch einen Laser Metallgranulat fest mit dem Rahmen. Es entsteht ein hauchdünner Metallstreifen.

Zum Schluss

Wir verabschieden uns danach aus den neuen Laboren. Und während ich die lange Henri-Dunant-Straße entlangfahre, habe ich noch die Worte von Frau Dr. Heuermann im Kopf: „Was ist technologisch möglich und was wird vom Markt gebraucht? Wohin die Reise geht, wissen wir am Anfang manchmal auch noch nicht. Aber: wir bringen es schon irgendwie zusammen, die Inspiration und die Technik“.

1 KEMAR steht für Knowles Electronics Manikin for Acoustic Research. Ein Kunstkopf, den man in Erlangen auch Kai Kemar nennt.


Zum Weiterlesen:

Signia Nx – innovative Chipplattform bietet Revolution des natürlichen Sprachverstehens

„Ich glaub, ich bin im Zoo“ – Eindrücke von der Signia Nx Roadshow und OVP