Kommentar: Versorgung á la vdek – fit für die Zukunft oder vorbei am Bedarf?

Kommentar: Versorgung á la vdek – fit für die Zukunft oder vorbei am Bedarf?

Bereits vor zwei Jahren kündigte der Verband der Ersatzkassen e.V. (vdek) an, Versicherten eine Wahloption zum klassischen Versorgungsweg über einen Hörakustiker bieten zu wollen. Schon damals wurden erste „Bekanntmachungsverträge“ an interessierte Leistungserbringer und HNO-Ärzte versandt. (Wir berichteten: Verkürzter Versorgungsweg: Hörgeräte direkt vom HNO-Arzt?)  Zum Dezember 2018 trat nun ein neuer Vertrag der Ersatzkassen (TK, HEK, DAK, HKK und Barmer) in Kraft, der den verkürzten Versorgungsweg über einen HNO-Arzt regelt.

Mit dem neuen Vertrag verfolgt der vdek das Ziel, den immerhin circa 30 Millionen Versicherten eine Wahloption neben dem klassischen Versorgungsweg über den Hörakustiker anzubieten. Damit sollen die teilnehmenden HNO-Praxen zum Erfüllungsort einer Versorgung werden. Im Fokus stehen zuzahlungsfreie Geräte, die aus dem Vertrag ersichtlich wird. Sieht so etwa eine bedarfsgerechte Versorgung oder eher die Basis-Versorgung der Zukunft aus?

Die wichtigsten Regelungen auf einen Blick 

Jakob Stephan Baschab, Hauptgeschäftsführer der biha: "Hier wird gutes Geld für schlechte Qualität ausgegeben.

Außen vor ist der Hörakustiker dabei nicht. Denn der neue vdek-Vertrag  beschreibt im verkürzten Versorgungsweg weiterhin eine Arbeitsteilung zwischen HNO-Arzt und Hörakustiker. Allerdings in einer neuen Gewichtung und mit einem geringeren Zuschuss, der zudem zwischen HNO-Arzt und dem Leistungserbringer Hörakustiker aufgeteilt wird. Doch dazu später mehr. 

Entscheidet sich der volljährige Patient für den verkürzten Versorgungsweg ist die HNO-Praxis bis zum Zeitpunkt der Wiederversorgung zentrale Anlaufstelle. Während der HNO-Arzt oder sein geschultes Personal die Beratung, Messung, Abformung, das Einsetzen und die Einweisung in die Handhabung der Hörsysteme übernimmt, ist der Hörakustiker für die "Online-Einstellung" der Hörsysteme und die Fertigung eines Otoplastik zuständig. 

Insgesamt sollen fünf aufzahlungsfreie Hörsysteme für den Versicherten zur Verfügung gehalten werden, zwischen denen er vergleichen kann. Nur auf ausdrücklichen Wunsch des Kunden können Hörsysteme mit Aufzahlung in die vergleichende Anpassung mit einbezogen werden. Die Möglichkeit einer Im-Ohr-Fertigung wird dabei verständlicherweise nicht aufgeführt. 

Ist eine Otoplastik notwendig oder tritt ein Reparaturfall ein, erfolgt die gegenseitige Übermittlung zwischen der teilnehmenden HNO-Praxis und dem Hörakustiker postalisch. Ein persönlicher Kontakt zwischen Hörakustiker und Versicherten entsteht so erst garnicht. Jedoch hat der Patient zu jedem Zeitpunkt seiner Versorgung die Möglichkeit, zum klassischen Versorgungsweg zu wechseln.

Wer profitiert? 

Für den verkürzten Versorgungsweg setzt die vdek insgesamt einen geringeren Zuschuss des Festbetrages an. Dieser beläuft sich bei einer binauralen Versorgung nach WHO2/3 inklusive Otoplastiken auf 1.293 Euro. Von diesem Betrag wird noch die Vergütung für den HNO-Arzt abgezogen. Es bleiben also 1.093 Euro. Im direkten Vergleich dazu liegt der Festbetrag beim klassischen Versorgungsweg bei 1.543 Euro.

Der Arzt? Naja, stellt sich die Frage, ob ein Honorar in Höhe von bis zu 200,- Euro lohnenswert ist. Beratung, Anpassung, Handling von Reparaturen per Post mit dem Hörakustiker ... Wenn der Patient überhaupt vollends zufrieden ist. Vielleicht kommt er garnicht mehr, obwohl er vielleicht mit den Leistungen des Arztes sonst sehr zufrieden war. 

Tabelle: Modell-Vergleich Vergütung des Hörakustikers und Ersparnis für die Krankenkassen

Leistung

Klassisch

Verkürzt

binaurale Versorgung 1.217,- 821,-
Otoplastik

33,50 x 2

31,- x 2
Reparaturpauschale 125,- x 2 105,- x 2
Summe 1.534,-

1.093,-

zzgl. 200,- Vergütung HNO
1.293,-
Ersparnis für die Kassen



241,-

Angaben Festbeträge "Klassisch" Stand 1.11.2017, alle  Beträge in €

Belebt wird sicherlich der Sparfuchs-Gedanke bei Patienten, der durch die Suggestion "kostenlose Hörgeräte beim HNO" sicherlich die Wartezimmer aus den Nähten platzen lässt. Die Berichterstattung in den Medien ist bereits im vollem Gange. Ob er sich vor seiner Entscheidung zum verkürzten Versorgungsweg selbstständig über die möglichen Alternativen informiert, bleibt fraglich.

Damit sparen die Krankenkassen bis zu 250 EUR für eine binaurale Versorgung. Die Gewinner des verkürzten Versorgungsweges scheinen damit festzustehen. Doch ist dies auch stets zum Wohle des Patienten? Kritisch zu betrachten ist auch, wie sich der Zuschuss des verkürzten Versorgungsweges auf den Zuschuss der klassischen Versorgung im Fachgeschäft auswirken kann.

Verkürzter Versorgungsweg: Auszug kooperierender Krankenkassen 

Wie viele HNO-Ärzte nehmen bereits teil? 

Schon jetzt nehmen über 300 HNO-Ärzte bundesweit am verkürzten Versorgungsweg mit kooperierenden Hörakustikern teil. Tendenz steigend.

Eine Liste der teilnehmenden Ärzte ist auf der Website von www.auric-direct.de einsehbar und kann auch durch den Versicherungsnehmer bei seiner Krankenkasse in Erfahrung gebracht werden.

Erstaunlicherweise bekommen wir bei einem Anruf auch nur den bis jetzt alleinigen Kooperationspartner auric Hörsysteme genannt. 

Kritik und Fazit

Das Thema Facharzt-Honorare wird bekanntermaßen immer wieder diskutiert. Mit diesem Vertrag eröffnet die vdek den HNO-Ärzten zusätzliche Einnahmen. Wo es solche gibt, ist auch mit Ausgaben zu rechnen. Das Fachpersonal muss in den Praxen nicht nur vorhanden, sondern auch geschult werden. Apropos: Präqualifizierung. Klar, diese liegt beim Leistungserbringer. Doch wenn ein wesentlicher Teil der Anpassung nicht im Hörakustiker-Fachbetrieb stattfindet...?

Hörakustiker, die sich beteiligen, akzeptieren damit geringere Festbeträge. Sind die AOK- und VdEK-Modelle erfolgreich, könnte das Anlass dazu geben, um perspektivisch auch den Zuschuss des klassischen Versorgungsweges zu reduzieren. Zusammen mit der seit Mai notwendigen Mehrkostenerklärung, die wiederum dokumentiert, in welcher Höhe Schwerhörige bereit sind aus eigender Tasche zuzuzahlen, wird dieses Szenario der mittelfristigen Senkung oder Abschaffung des Festbetrages sehr nachvollziehbar.

"Qualitätsinitiative Verkürzter Versorgungsweg (QVV)" 
© BVMeD

Der neue Rahmenvertrag der vdek setzt auf die medizinisch notwendige Versorgung. Die vergleichende Anpassung erfolgt zwischen fünf aufzahlungsfreien Hörsystemen, mit denen das optimale Sprachverstehen erreicht werden soll. Zuzahlungsgeräte werden nur auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten angeboten. Die Aufklärung hierfür obliegt dem Arzt. Aber ob sie an technologisch und komforttechnisch vielleicht geeigneteren Geräten und dem damit verbundenem zusätzlichen Beratungsaufwand Interesse haben? Das Honorar ist ja schließlich fix.

Übrigens: Verkürzter Versorgungsweg bereits seit mehr als 25 Jahren Praxis 

Bereits seit mehr als 25 Jahren werden Hörgeräte über den verkürzten Versorgungsweg von teilnehmenden HNO-Ärzten an Schwerhörige abgegeben. Die Aufhebung der Wettbewerbsbeschränkung beim Hörgerätevertrieb durch das Bundeskartellamt im November 2011 ebnete dabei den Weg für alternative Absatzwege von Hörgeräten. 

So verschaffte auch der Bundesverband Medizintechnologie (BVMeD) dem verkürzten Versorgungsweg Zugang auf den Absatzmarkt für Hörgeräte. Organisiert in entsprechenden Fachbereichen, stößt man bei der Durchsicht der Mitglieder des BVMeD auch hier auf Unternehmen, wie auric Hörsysteme und die Hörkonzepte GmbH. Ein Wunder?

{AUTOR-BIANCA}