EUHA Präsident Martin Blecker über das Heute und die Zukunft

Im Rahmen des diesjährigen EUHA Kongresses führten wir ein Interview mit dem Präsidenten der Europäischen Union der Hörakustiker e. V. Uns interessierte, was von den aktuell behypten Technologien relevant ist. Und wie sich das alles auf den Beruf Hörakustiker auswirken könnte.

Martin Blecker

Martin Blecker, Präsident der Europäischen Union der Hörakustiker e. V.

MHG: Herr Blecker, versetzen wir uns mal in den potenziellen Hörgeräte-Träger. Welche der vorgestellten Technologien und Konzepte der Hörgerätehersteller hat denn Ihrer Meinung nach die größte Relevanz für den heutigen Alltag?

Martin Blecker: Wir haben es heute mit sehr unterschiedlichen Zielgruppen zu tun. Jüngere Schwerhörige sind sehr affin für Technik. Sie haben einen ganz anderen Alltag und müssen häufig Beruf und Familie koordinieren. Ich selbst zum Beispiel zähle zur Generation Babyboomer und werde nervös, wenn mein Rechner nicht das letzte Update hat. Auf der anderen Seite gibt es bekanntermaßen ältere Kunden, die sich freuen, wenn sie einfach besser hören. Insofern halten wir für all diese Menschen ein breites Spektrum technischer Möglichkeiten bereit. Relevant für den jeweiligen Alltag und Bedarf sind daher alle.

Wir sind heute mit dem Hörgerät dort, wo es Nokia zur Zeit der Handys war.

Martin Blecker

MHG: Smartes Hören ist ja in allermunde. Ist der typische Hörgeräteträger heute wirklich so „vernetzt“?

Martin Blecker: Das Streaming wird heute sicherlich überbewertet, aber es ist die Technologie für unsere künftigen Kunden. Und diese Kundschaft ist wie gesagt heute schon da, sicher aber nicht in der Masse.

MHG: Dann machen wir doch mal den Sprung – in die Welt der kommenden fünf bis zehn Jahre. Was denken Sie, wird künftig unseren Markt technologisch bewegen?

Martin Blecker: Wir sind heute mit dem Hörgerät dort, wo es Nokia zur Zeit der Handys war. Das waren mobile Telefone, mit dem man in erster Linie telefonieren konnte. Heute benutzen wir unser Smartphone mit vielen anderen Anwendungen, auch zum Telefonieren. Hörsysteme haben enorme Technologiereserven und Möglichkeiten. Denken wir an eine Sensorik, die einen Notruf auslöst, wenn der Hörgeräteträger fällt und sich danach nicht mehr bewegt. Oder aber an Hörsysteme, deren Mikrofoneinstellungen durch Hirnströme gesteuert werden statt auf die akustische Situation zu reagieren.

MHG: Stichwort Teleaudiologie. Einige Hersteller bieten Hörakustikern und damit auch deren Kunden an, bestimmte Einstellungen der Hörgeräte durch eine Fernwartung vorzunehmen, in manchem Fällen ja sogar schon in der aktuellen Hörumgebung, zum Beispiel in einem Theater. Wie sind diese Möglichkeiten aus heutiger Sicht zu beurteilen?

Martin Blecker: Wir leben heute in einer Welt, in der derjenige herrscht, der die Daten hat. Denken wir beispielsweise an Amazon. Und solange die Daten beim Hörakustiker landen, ist alles in Ordnung. Wenn wir jüngere Zielgruppen erreichen wollen, brauchen wir solche Technologien. Daraus ergeben sich auch neue Möglichkeiten in der Kundenbetreuung. Es ist schließlich ein Unterschied, ob ein Kunde sechs oder drei Mal ins Geschäft kommen muss. Ich sehe darin also auch eine große Chance.

MHG: Mit all diesen Möglichkeiten im Gepäck muss der Hörakustiker doch seine Rolle vollkommen neu erfinden, oder? Was muss ein Hörakustiker künftig können?

Martin Blecker: Die Technik wird sich weiterentwickeln und der Hörakustiker wird das Bindeglied zwischen Mensch und Technik bleiben. Natürlich müssen auch wir uns weiterentwickeln und neue Möglichkeiten in unserem Alltag einsetzen. Wichtig ist, aus meiner Sicht, die Empathie für den Kunden. Das kann kein Rechner. Wir müssen zuhören und verstehen können, was die Bedürfnisse konkret sind. Das kann man auch mit Teleaudiologie nicht so leicht. Am Ende zählt doch, dass jeder Kunde das bekommt, was zu ihm passt. Nicht mehr, und auch nicht weniger.

Das Interview führte Marco Schulz.

 

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