Kommentar: Gesundheitsreport Hörhilfen der hkk sagt: „Ausgegrenzt und abgezockt“

Gemeint ist allerdings: „Zufriedene Kunden haben die gleiche Leistung für deutlich weniger Geld erhalten“.

Die Krankenkasse hkk stellte kürzlich ihren Gesundheitsreport mit folgender Einleitung vor: "Aktueller hkk-Gesundheitsreport: Trotz Erhöhung der Festbeträge für Hörgeräte leisten Betroffene hohe Eigenanteile / 40 Prozent der Hörhilfeempfänger zahlen zwischen 500 und 2.000 Euro zusätzlich aus eigener Tasche / Keine Qualitätsunterschiede zwischen Hörgeräten mit und ohne Eigenanteil / Werbeversprechen werden nicht gehalten." Die Steilvorlage wurde von Medien gerne aufgegriffen. So titelte der Weser-Kurier "Ausgegrenzt und abgezockt".

Berechtigt der in Zusammenarbeit mit der Uni Bremen wissenschaftlich erstellte Report tatsächlich zu solchen Aussagen? Haben die erhöhten Zuzahlungen der Krankenkassen tatsächlich nichts gebracht? Ein Blick in die Tiefen des Reports lohnt sich.

In der Studie wurden Hörgeräteträger in zwei Wellen befragt. Die Welle eins vor der Erhöhung der Zuzahlung durch die Krankenkassen, die Welle zwei danach. Es wurde Wert darauf gelegt, bei beiden Wellen auf eine vergleichbare Zusammensetzung an Merkmalen wie Alter, Erfahrung etc. zu achten.

Die Eigenleistung von Hörgeräteträgern sinkt deutlich - der Anteil an Kassengeräten steigt

picture Ein in der Pressemitteilung kommuniziertes zentrales Argument ist, dass trotz erhöhter Zuzahlung der Eigenanteil im Wesentlichen gleich bleibt. Schaut man sich dagegen die Studie an, dann sehen die Zahlen anders aus.
Der Anteil der niedrigen Eigenleistungen ist um knapp 40 Prozent gestiegen. Der Anteil an Geräten ohne bzw. mit vernachlässigbaren Eigenlasten dagegen um fast 60 Prozent. Damit haben sich nachweislich die Kosten für eine Hörgeräteversorgung, die von Menschen mit Hörminderung selbst getragen werden in Summe deutlich verringert. Der Effekt von sinkenden Hörgeräte Preisen ist im Übrigen auch durch Marktforschungsdaten aus dem Hörgeräte-Panel der GfK und in Verbandszahlen über die gesamten Hörgeräteverkaufe in Deutschland belegt. Hier stieg der Anteil im Segment ohne bzw. mit vernachlässigbaren Eigenleistungen 2013 gegenüber 2014 von 19 Prozent auf 31 Prozent an.
In der Studie selbst wird davon gesprochen, dass Eigenleistungen bezahlt werden „mussten“. Es ist aber die freie Entscheidung eines jeden Nutzers ein Kassengerät zu nutzen oder ein hochwertigeres Modell zu kaufen.

hkk Studie zeigt gleichbleibend hohe Zufriedenheit bei der Nutzung von Hörgeräten

picture Der Studienleiter Dr. Braun spricht in der Pressemitteilung von einer Diskrepanz zwischen Leistungsversprechen von Produkten und dem tatsächlichem Nutzwert. Die Aussage wird darauf aufgebaut, dass der jeweils subjektive Eindruck der Nutzer in verschiedenen Hörsituationen in Welle zwei nicht besser war als in Welle eins. Daraus wurde abgeleitet, dass Patienten keinen höheren Nutzwert erfahren und damit die Mehrausgaben der Krankenkassen keinen Nutzen bringen.

Das klingt erschreckend. Tatsächlich zeigen die Daten der Studie, dass es zwischen Welle eins und Welle zwei in Summe keine Verbesserungen in der subjektiven Wahrnehmung gibt. Was allerdings nicht kommuniziert wird, ist, dass in fast allen Disziplinen die Befragten bezüglich der Einflüsse des Hörgeräts auf besseres Verstehen bzw. Hören deutlich positiver bewertet wurden. So bewegten sich meist 70-80 Prozent der Befragten bei ihren Aussagen im positiven Bereich. Beispielsweise gaben in beiden Wellen mehr als 80 Prozent der Befragten an, mit einem Hörgerät Gesprächen in Gruppen besser folgen zu könnten. So zieht sich das Bild durch fast alle Fragekategorien. Dieses in der Pressemitteilung nicht vermittelte durchaus positive Ergebnis spiegelt sich zum Beispiel auch in der Studie der Stiftung Warentest wieder. Unter 2800 Befragten waren hier 73 Prozent zufrieden oder gar sehr zufrieden mit ihren Hörgeräten. Schon aus diesem Grund ist eine Polarisierung der Ergebnisse wie sie in der Pressemitteilung vorgenommen wird, wenig nachvollziehbar.

Studienergebnisse erlauben keine Aussage über die Qualität von Kassengeräten im zeitlichen Vergleich

Bleibt allerdings die Frage warum Welle zwei keine besseren Ergebnisse im Vergleich zu Welle eins erzielt hat. Machen wir es uns zunächst einfach: Die Nutzer der Welle zwei haben die gleiche Leistung für durchschnittlich deutlich weniger Geld erhalten! Das im Übrigen bei konstant hohen Zufriedenheitswerten! Vermutlich eine Headline, die der Realität näher kommt als die des Weser-Kuriers.

Um die Wirkung von Kassengeräten zu analysieren wäre eine Analyse eben genau der Gruppe der zuzahlungsfreien Nutzer in beiden Wellen interessant gewesen. Vermutlich war hier die Anzahl der Befragten nicht hoch genug, um eine statistisch signifikante Analyse genau dieser Gruppe durchzuführen. Möglicherweise wäre das Ergebnis eine höhere Zufriedenheit der Kassenkunden in Welle zwei gewesen. In einem Feature-Vergleich der Kassengeräte zeigt sich eine deutlich bessere Ausstattung nach der Erhöhung der Zuzahlung.

Die Welle eins betrachtet einen Versorgungszeitraum von Mai 2013 bis Oktober 2013. Die Welle zwei einen Zeitraum von November 2013 bis Juni 2014. In Summe sind das 14 Monate. Ein Technologie-Zyklus in der Hörgeräteindustrie liegt etwa bei 18 Monaten oder länger. Da alle Nutzer, egal ob mit Kassengerät oder Premium-Gerät betrachten wurden, wurde - statistisch gesehen - die Mehrheit der Befragten mit einer ähnlichen Technologie versorgt. Da ist es aus Produktsicht unwahrscheinlich, dass sich Zufriedenheitswerte ändern.

Studie mit wertvollen Inhalten – Interpretation und Kommunikation wird weder der Realität noch der Studie selbst gerecht

Die Studie bietet wertvolle Einsichten in einem hohen Detailgrad und ist gerade für das Fachpublikum eine interessante Lektüre. Sie zeigt, dass Hörgeräteträger grundsätzlich den Nutzen von Hörgeräten und die Leistung von Akustikern positiv bewerten. Sie zeigt, dass Nutzer weniger für Hörgeräte aus eigener Tasche zahlen, dafür aber eine vergleichbare Leistung erhalten.

Die meiner Meinung nach polarisierende und einseitige Interpretation und Kommunikation der Ergebnisse per Pressemitteilung durch den Auftraggeber ist allerdings nur schwer nachvollziehbar. Bei näherer Betrachtung entspricht diese weder den aus der Studie zu entnehmenden Daten, noch dem Resümee, noch der Realität am Markt.

Was hat die Erhöhung der Zuzahlung gebracht? Nachweisbar bessere Technologie bei zuzahlungsfreien Geräten, eine durchschnittliche Entlastung der Hörgeräteträger und eine bessere Versorgungsrate von Menschen mit Hörminderung. So stieg die Anzahl der verkauften Hörgeräte 2013 vs. 2014 um ca. 30 Prozent - das Wachstum kam vorwiegend aus dem Segment der Kassengeräte. Dass die Kosten für Krankenkassen bei einer höheren Versorgungsrate und einer höheren Zuzahlung steigen würden, dürfte wohl vor der Gebührenanpassung bekannt gewesen sein.

Quelle Grafiken: hkk Studie als PDF